Digitalplatonismus: Informationstheorie und Philosophie

Konrad Zuse war nicht nur ein Ingenieur, der den ersten Turing vollständigen Computer baute und deshalb ein Gerät erfand, was theoretisch jedes lösbare mathematische Rätsel lösen kann. Zuse wandte sich in seinem Buch “Der Rechnende Raum” von 1969 auch philosophischen Fragen zu. Seine Hauptthese dort ist, dass sich die Physik in einer Sackgasse befindet und viele Fragen nicht lösen kann, weil man einer grundlegenden Fehlinterpretation der Welt unterliegt: Man sieht die Welt materialistisch. Dabei zeigen viele Phänomene der Physik, dass Materialismus wahrscheinlich ein Irrweg ist, und alle Materie bloß Illusion ist. Die wirklich “Reale” Realität ist laut Zuse stattdessen Information.

Damit kam Zuse durch Informatik zum selben Schluss wie Platon, Hegel, und die meisten Religionen. Der Science Fiction Autor Philip Kindred Dick kam in seinem philosophischen Hauptwerk “Tractates Cryptica Scriptura” auf eine ähnliche Idee der idealistischen Verbindung aus Religion und Mathematik, nur war seine Herleitung nicht Mathematik und Physik, sondern die vergleichende Analyse religiöser Schriften. Spätere Autoren wie Rizwan Virk entwickelten diese Thesen weiter und beschrieben, dass man dank des Konzepts Neuronaler Netze das Universum als Produkt eines riesigen, hegelschen “Weltgeistes” sehen müsste.

Abseits abstrakter Fragen zur Kosmologie stellt sich nun die Frage, ob man diese Ideen und Denkweisen auch auf andere Bereiche der Philosophie anwenden kann. Und das kann. Dies geht. Und mit interessanten Ergebnissen.

Der erste interessante Punkt ist eine Frage der Berechenbarkeit. Berechenbarkeit beschreibt grob, welche Fragen ein bestimmtes System “lösen” kann. Meist geht es um konkrete Maschinen. Sprachen fallen aber auch drunter. Die schon eingangs erwähnte Turing Vollständigkeit ist hier von besonderer Relevanz. Eine Turing Maschine ist ein hypothetisches Gerät was aus einem Programm, einem Speicherband und einer beweglichen “Schreib-/Lese Einheit” besteht, was alle berechenbaren Probleme berechnen kann. In der Mathematik gilt eine Frage als beantwortbar, wenn man sie so formulieren kann, dass dieses fiktive Gerät damit umgehen kann. Dann gibt es noch die Church Turing These, die besagt, aus Sicht der Berechenbarkeit sind 2 Systeme Äquivalent zueinander, wenn sie ihre Funktionsweise gegenseitig simulieren können. (Um es sehr vereinfacht zu verdeutlichen. Jeder hier kann sich die 80er Jahre Version von Donkey Kong ziehen und auf seinem normalen Notebook zum Laufen bringen, weil der Spielhallenautomat, auf dem Donkey Kong damals lief, und das heutige Notebook, fundamental beides Computer sind.)

Und jetzt der “Spannende Punkt”. Die Simulationshypothesen sagen aus, weil Computer unsere Welt immer besser simulieren können, wird es wahrscheinlicher, dass die reale Welt auch eine berechnete Simulation ist. Es gibt aber bei diesen Überlegungen noch einen übersehenen Punkt. Wir Menschen haben diese Turing Maschine erst erdacht. Ergo fällt unser Geist auch unter diese Gesetzmäßigkeiten. Wir sind auch Turing Vollständig oder sogar mächtiger. Und wir verstehen das Universum immer besser und können immer bessere Vorraussagen und Vorherberechnungen treffen. Es gibt also einen Grundzug einer Äquivalenz zwischen dem schöpferischen Weltgeist und dem menschlichen Verstand. Der Weltgeist erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild.

Es ist aber offensichtlich, dass ein einzelner menschlicher Verstand und ein Computer nicht alle Fragen dieser Welt lösen können. Da kommt jetzt nämlich ein anderes Element ins Spiel. Es gibt zwei Varianten von Turing Maschinen. Universelle, die alles berechnen können, weil sie ein unendliches Speicherband haben, und beschränkte Turing Maschinen, die endlich begrenzt sind. Und dies ist der Hauptunterschied zum “Schöpfer”. Der Mensch ist Endlich (Begrenzt) und kann nicht alle Information aufnehmen.
Eine gute Frage ist nun, was Technik für den Menschen bedeutet. Technik ist auch oft ein Speichermedium, was Information externalisiert und vom Geist entkoppelt. Was sich der Mensch nicht ewig merken kann, schreibt er auf, damit er es für später nachlesen kann. Damit dient Technik auch vor Allem dazu, die Speicherkapazitäten des Menschen zu erweitern, und den Unterschied zwischen begrenzter Turingmaschine und universeller Turingmaschine zu verkleinern. Man könnte hier Spenglers Metapher des “faustischen Menschen” verwenden und sagen, der Mensch versucht sich mit Hilfe der Technologie selbst zum Gott zu machen, indem er die “Frucht vom Baum der Erkenntnis” nimmt.
Ein sehr ähnliches Konzept ist die Idee der Informationsentropie und das damit verbundene Konzept des Maxwellschen Dämons. Informationsentropie ist grob gesagt der Wert, der aussagt, in wie weit es möglich ist, aus vorhandenen Informationen die fehlenden Infos zu rekonstruieren. Und wie viel fehlen darf, damit etwas noch “Lesbar” bleibt. Beispielsweise kann man erkennen, dass bei “Da ein” ein S fehlt. Da ist die Entropie gering. Aber bei “D   n” ist die Entropie so groß, dass es schwer wird, zu erraten, was gemeint ist. Entropie ist somit auch der Grad des Unvermögens, aus bestehendem Wissen schlussfolgern zu können, was als Nächstes kommt. Thermodynamische Entropie gilt als Folge der Informationsentropie. In einem heißen Gas fliegen alle Bestandteile chaotisch umher. Deshalb kann man aus einem Abbild, wo alle Bestandteile des Gases or 10 Minuten waren, nicht wirklich ableiten, wo sie jetzt sind. Bei einem Kristall ist dies aber gut möglich, da dort alles starr, unbeweglich und geordnet ist. Man könnte hier auch grob sagen, Entropie ist ein Wert des Chaos.

Nach der Informationsentropie gilt auch, dass in jedem System die Entropie unweigerlich zu nimmt, die existierende Information weniger wird, und somit jede Ordnung gezwungen ist, in sich zusammen zu fallen. Gleichzeitig steigt damit aber auch das Potenzial, welche Art Information existieren könnte. [1][2] Dieser Punkt ist interessant, da er auf genau den Punkt hinaus läuft, den Dugin in seinem Text “Die Metaphysik des Chaos ansprach: Die Ordnung basiert auf der Extinktion oder Exklusion des Chaos. Das Chaos ermöglicht es aber, dass in ihm verschiedene Ordnungen entstehen können.[3]

Mit der Entropie wiederum hängt die Theorie des Maxwellschen Dämons zusammen. Der Maxwellsche Dämon ist eine hypothetische Maschine, welche über ein chaotisches System (ein Gas) gestülpt wird, und die Bestandteile dessen ordnen und sortieren soll. Es ist erwiesen, dass so ein System nicht auf Dauer funktionieren kann. Und zwar, weil u.A. Dieses Problem der potenziellen Information dazu führt, dass diese Maschine an ihre Speichergrenzen stoßen würde. Das Chaos könnte nur dauerhaft kontrolliert werden, wenn die Maschine einen unendlichen Speicher hätte (siehe die Überlegungen weiter oben, hierzu).  Da die Maschine so etwas nicht hat, wird das Chaos irgendwann so groß, dass es in einer paradoxen Situation mündet, wo die Maschine selbst Chaos stiften und sich selbst langsam zerstören muss, um sich selbst erhalten zu können.
Dieser Maxwellsche Dämon lässt sich nun wiederum erstaunlich gut nutzen, um die Moderne und das “Gestell” zu analysieren.

Jeder moderne Staat ist nämlich de Facto ein Maxwellscher Dämon, der die Entropie beenden und die perfekte Ordnung erzwingen will. Angefangen von kommunistischen Planwirtschaften, die den Bedarf der Menschen von Oben herab planen wollten. (Der Gipfel dieser Entwicklung war Salvador Allendes Cybersyn, wo man die Kontrolle über einen großen Teil von Staat und Wirtschaft an einen Zentralcomputer abgeben wollte.)

Das Verhalten der dritten politischen Theorie und insbesondere Nazi Deutschlands mit Eugenik, Ahnenpässen, Vernichtungslagern etc. kann man sehr stark als eine große Operation zur Beseitigung von Chaos, Unreinheiten und Entropie beschreiben, auf Kosten von Freiheit, Menschlichkeit und Menschenleben.

Poppers Anhänger werden jetzt behaupten, liberale Gesellschaften seien der Schutz vor solchen Entwicklungen, aber diese Propaganda ist ein riesiger Trugschluss. Siehe Patriot Act, den Greueltaten, Unterdrückung, Vertreibung und Umerziehung indigener Völker im Namen von Kolonialismus und “White Mans Burden”, den Neocon Kriegen im Namen der Demokratie, dem übergriffigen "therapeutischen Staat", der die Leute zur Gesundheit erziehen will und den Bürger schon von Kindesbeinen an immer wieder auf gesundheitliche Störungen hin kontrollieren will, Cancel Culture, Political Correctness und anderer Formen von progressiver, antifaschistischer Gedankenpolizei und Netzzensur, EU Überregulierung, sowie vielen anderen Beispielen. In gewisser Weise führen liberale Staaten auch Eugenik dank Planned Parenthood und Anderem auch in privatisierter Form fort. Und in der Coronakrise gibt es auch im freiheitlichen Westen jetzt verpflichtende Zertifikate über biologische Reinheit, und das Thema "Lager für biologisch unreine" kommt in dieser neuen Form immer wieder auf. Siehe Australien. (Der Hauptunterschied zwischen dem Dämon im Liberalismus (2.0) und anderen Systemen ist, dass hier der Dämon errichtet wird, als ein System, dass alle Einschließt und dem sich keiner verweigern oder entkommen soll, während andere Systeme eher auf Verdrängung oder Vernichtung chaotischer Elemente ausgelegt waren.)

Egal in welcher Form. Jede politische Theorie der Moderne und jeder moderne Staat ist ein maxwellscher Dämon, der immer mehr das Chaos bekämpfen soll, auf Kosten der eigenen Bürger. In gewisser Weise ist der maxwellsche Dämon auch der Kern der Moderne, der von fast allen antimodernen Theorien erfasst wurde. Egal ob man es nun wie Heidegger "Gestell",  wie Adorno "Instrumentale Vernunft", wie Herbert Marcuse “Eindimensionale Gesellschaft”, wie René Guénon "Herrschaft der Quantität", wie John C. Lilly "Feststoffintelligenz" oder sonst wie nennt. Alles von Ted Kaczinsky über Terence McKenna bis zu Rudolf Steiner läuft darauf hinaus, dass die Moderne ein Prozess der Errichtung einer Totalmaschine zur Ausmerzung des Chaos ist, welcher dabei gleich die Menschlichkeit mit auszumerzen droht. Und mit Methoden von Künstlichen Neuronennetzen, Genmanipulation, Transhumanismus usw. und Entwicklungen wie dem Great Reset wird das nahezu perfektioniert.

Nur, wie schon beschrieben, da kein unendlicher Speicher existiert, kann kein maxwellscher Dämon auf lange Sicht funktionieren. Alle Ordnung bleibt, um es buddhistisch zu sagen "Annica", also nicht dauerhaft, und vom ständigen Einsturz bedroht. Entropie und Chaos werden nicht ausgemerzt, sondern auf Dauer nur untern Teppich gekehrt. Und hinter den Mauern der geordneten Welt der Moderne und in deren Untergrund türmt sich das Chaos so lange auf, bis es die Staudämme einreisst. Bestes Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass 2021 ein Schiff im Suez Kanal einen Unfall baute und damit beinahe eine Weltwirtschaftskrise auslöste.

Nur führt jeder Eingriff moderner Staaten, um das Chaos zu beheben, nach dem maxwellschen Dämon automatisch nur zu mehr Chaos und zur Notwendigkeit weiterer Eingriffe. (Man könnte es mit Ludwig von Mises als “Interventionsspirale” bezeichnen.)

Wie entkommt man diesem Dämon? Wahrscheinlich durch Blick in den Osten und auf Lehren wie Buddhismus und Taoismus, sowie die Kyoto Schule. Diese Lehren zeigen sehr gut auf, dass alles irgendwann zerfällt und das Endziel allen Seins irgendwann Chaos, Zerfall und das absolute Nichts bedeutet. Aber auch, dass wir Menschen nicht wirklich gegen die Entropie kämpfen können, und oft ein solcher Versuch die Entropie nur schlimmer macht. Stattdessen hilft nur, Abstand om Materiellen zu nehmen und sich stattdessen ewig gültigen, unveränderlichen göttlichen Prinzipien zuzuwenden.  Da das Ewige sich nicht ändern kann, bleibt die Entropie bei Null und kann sich nicht vervielfachen, denn das Zweifache on Null wäre z.B. immer noch Null.
[1] Siehe https://www.uni-ulm.de/fileadmin/website_uni_ulm/archiv/haegele//Vorlesu... Seite 6
[2] Ein Effekt der Entropie ist auch die Auflösung von streng getrennten Kategorien und das Ineinanderfließen, hin zu einem Mittelwert. Dies trifft auf die Postmoderne zu.
[3] Siehe dazu auch folgendes Zitat aus “Die Metaphysik des Chaos”:
“Um diese Schwierigkeit zu lösen, sollten wir uns dem Chaos nicht aus der Position des Logos, sondern aus der des Chaos selbst nähern. Es kann mit der weiblichen Vision verglichen werden, dem weiblichen Verständnis des Anderen, das nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil in die Gleichheit eingeschlossen ist.
Logos betrachtet sich selbst als das, was ist und als das, was ihm gleich ist. Es kann die Unterschiede in sich akzeptieren, weil es das Andere, das außerhalb liegt, ausschließt. Der Wille zur Macht funktioniert also, das Gesetz der Souveränität. Hinter Logos, behauptet Logos, liegt nichts, nicht etwas. Logos, die alles andere als sich selbst ausschließen, schließen also Chaos aus. Chaos verwendet eine andere Strategie. Es schließt in sich alles ein, was es ist, aber zugleich auch alles, was es nicht ist. Allumfassendes Chaos beinhaltet also auch das, was nicht inklusive ist, nämlich das, was Chaos ausschließt. Das Chaos nimmt Logos also nicht als das Andere wahr, sondern als sich selbst oder als etwas Nicht-Existentes. Der Logos als erstes Prinzip des Ausschlusses ist in das Chaos eingeschlossen, darin präsent, von ihm eingehüllt und hat darin einen Platz gewährt, wie die Mutter, die das Baby trägt, in sich trägt, was ein Teil von ihr ist und was nicht von ihr gleichzeitig. Der Mann begreift die Frau als ein äußeres Wesen und versucht, in sie einzudringen. Die Frau betrachtet den Mann als etwas Inneres und versucht, ihn zu gebären und ihn zu gebären.
Chaos ist die ewige Entstehung des Anderen, das heißt des Logos.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass chaotische Philosophie möglich ist, weil das Chaos selbst Logos als eine innere Möglichkeit beinhaltet. Es kann es frei identifizieren, es schätzen und seine Exklusivität erkennen, die in seinem ewigen Leben enthalten ist. So kommen wir zur Figur des ganz besonderen, chaotischen Logos, das heißt eines völlig und absolut frischen Logos, das ewig von den Wassern des Chaos belebt wird. Dieses chaotische Logo ist gleichzeitig exklusiv (deshalb sind es eigentlich Logos) und inklusiv (chaotisch). Es geht anders mit Gleichheit und Andersartigkeit um.“