Was ginge verloren, wenn Heidegger aus dem philosophischen Gedächtnis verschwände

I

In der Ideengeschichte gibt es Tötungen, Schlachtungen und den Ausruf der „damnatio memoriae“ seit jeher. Auch die Vatermorde durchziehen sie. Selten aber sind sie dauerhaft erfolgreich. Auch der schwächste, oder reduzierteste Gedanke, so dekretierte Adorno einmal, kann nicht ungedacht gemacht werden. Und Rousseau wusste schon: Bei allem, was einmal gedacht wurde, muss sich auch wieder etwas denken lassen. 
Der Regelfall sind allerdings nicht die großen Verdammungen, sondern schleichende, mit Karriere- und Modegründen erkaufte Paradigmenwechsel im akademischen Raum, die mit dem Aufkommen eines neuen Leitfossils ältere und vermeintlich weniger attraktive Denkformen und ihre Exponenten verblassen lassen. Sie werden dann nicht mehr gelehrt und zitiert. Damit ist ihr Glanz rasch vorbei, und alle die epigonalen Arbeiten, die von diesem Glanz zehrten, wirken nach wenigen Jahren müde und abgestanden. So ging es innerhalb einiger  Jahrzehnte Marx und den verschiedenen Spielarten des Neomarxismus, so ging es der Leitwährung der siebziger Jahre, den soziologisch-sozialwissenschaftlichen Deutungsmustern- und nicht zuletzt ging es der Systemtheorie und den zeitweise extrem faszinierenden, alles verändernden französischen Differenzphilosophien sechziger und siebziger Jahre nicht anders.
Es kann sogar sein, dass eine Folgetheorie, die modernere Kleidung trägt, sich langer Fortdauer erfreut, während die Gründungsmarke, aus der sie hervorging, abgelegt ist.
In nicht-totalitären Zeiten ist es aber zumindest ungewöhnlich, dass ein Denken eine totale Destruktion und damnatio memoriae erfahren soll. Es ist dabei weniger interessant und eher im Feld der Verschwörungen zu verankern, dass Teile der Kritischen Theorie sich schon vor fünfzig, sechzig Jahren schworen, „den“ – gemeint war Heidegger- „auf Null“ zu bringen. Die Chance steht gut, dass es nun so weit kommt.

II

Dennoch und all dies vorausgeschickt, ist die derzeitige Heideggervernichtung von besonderer Art.
Der Auslöser, die ‚Schwarzen Hefte‘ und ihre Ausfälle sind nicht zu beschönigen. Zuzugeben ist auch, dass sie kein Randphänomen bilden. Der Text selbst verweist in ein eine besondere Nähe zu Heideggers innerster Sphäre. In diesem Teil des Nachlasses, eine eigene Textart ausmachen zu wollen, wie der Herausgeber Peter Trawny nahelegt, scheint allerdings nicht schlüssig. Die großen  Konvolute seit den ‚Beiträgen zur Philosophie‘ (1989 als GA 65 aus dem Nachlass erschienen) haben  in ihrer umkreisenden, annähernden und fragend redundanten Exposition der Seinsfrage eine ähnliche Struktur. Trawnys Vermutung, dass Heidegger seinen ‚Antisemitismus‘ vor den Nationalsozialisten verbergen wollte, scheint dennoch durchaus plausibel zu sein.  Manche Signale in seinen Vorlesungen und in anderen Konvoluten zeigen, dass er mit dieser Phalanx nicht verwechselt werden wollte. Eine Widerstandsstruktur ist daraus freilich noch lange nicht abzulesen. Was man den ‚Schwarzen Heften‘ entnehmen kann, ist ein fundamentaler Mangel an Urteilskraft und Aufgeklärtheit. Auch ein Mangel an Charakter. All dies kannte man von Heidegger indes. Dass Heidegger die Urteilskraft im ethischen und politischen Sinn verloren gegangen sei, trifft die Wirklichkeit nicht. Eine solche Urteilskraft hat sein Denken, zwar in der formalen Struktur beschrieben, aber de facto nicht ausgebildet. Dies ist gerade angesichts seines Ausgangspunktes bei der situativen praktischen Philosophie des Aristoteles, keineswegs ein geringer Mangel. Auf ihn bleibt noch zurückzukommen.
Funktional konnte er sich deshalb aus dem üblen Thesaurus des Antisemitismus und Antijudaismus bedienen, wenn er auf eine äußerste Sphäre und in den Bereich der Feindeserklärungen kam. Nichts daran ist originell. Alles eines Denkers von hohem Rang unwürdig. Die Auffassung von Emmanuel Faye aber, dass Heidegger nicht Philosoph sei, sein Denken vielmehr insgesamt ein unzureichend verbrämter Rassenantisemitismus wäre, ist  schlechterdings grotesk, Ausdruck einer Idiosynkrasie und Verdächtigungsorgie, die mehr über die Zeiten sagt, in denen sie ernsthaft diskutiert wird.
Solche Absurditäten müssen aber nicht daran hindern, einen finalen Schlag auszuführen.
Mit mehr Empathie und in größeren ideengeschichtlichen Linien hat Donatella Di Cesare, die letzte enge Vertraute Gadamers, einen Antijudaismus deutscher Philosophie insgesamt suggeriert. Dieser ist nicht wegzuleugnen. Er ist indes nur eine Variante des schon vom Kirchenvater Tertullian konstatierten Hiates zwischen Athen und Jerusalem. Die philosophische Phalanx schlug sich auf die Seite von Athen. Die deutsche in ihrer Gräkomanie und fehlenden Latinität tat es ganz besonders.  Doch unkorrigierbar war diese Tendenz nicht. Das zeigt zuletzt eindrücklich und auf hohem Niveau Emmanuel Lévinas‘ Forderung, das Nicht-Indifferente, eben die jüdische Bundesgeschichte in die griechische Prinzipienlehre einbezogen werden solle.

III

Heideggers Denken signalisiert dort, wo es stark ist, Gegentendenzen zum Konstrukt „Philosophischen Diskurs der Moderne“. Es steht quer zu einem linearen „Projekt der Aufklärung“ (‚Aufklärung‘ ohne den Abgrund ihrer inneren Dialektik genommen) und ihm ist eine Intensität eigen, die, gegen Heideggers eigene Rhetorik vom „Ende der Philosophie“, vielmehr die „Sache der Philosophie“ noch einmal überdeutlich formulierte. Jener emphatische Begriff von Philosophie ist an der Bologna konformen, modularisierten Universität heimatlos geworden. Auch in der philosophischen Forschung und in der Öffentlichkeit ist er weitgehend heimatlos. Wo Philosophen im öffentlichen Raum eine Stimme haben, artikulieren sie sich eher als Vertreter einer Meinung.
Da nicht auszuschließen ist, dass der Heidegger-Kehraus definitiv gelingen könnte, sollen einige Momente Heideggerschen Denkens im Augenblick ihres Sturzes vergegenwärtig werden, nicht hagiographisch, aber in der Überzeugung, dass sie nicht desavouiert sind.
1. Heidegger hat die Nutzlosigkeit der Philosophie programmatisch verdeutlicht. Das Denken ist per se nicht mit bestimmten Funktionen aufzuladen. Es fragt, ohne externe Zielbestimmung und ohne eingegrenzten Forschungsauftrag. Gerade darin liegt seine Bedeutung. Deshalb kann Philosophie dort ansetzen, wo die Programmatik anderer Wissenschaften endet. Sie ist, wie Heidegger mit Aristoteles sagen würde, auf einen letzten Zweck (ein letztes „hou heneka“) gerichtet. Diese Funktionsfreiheit ist radikal. Sie führt nämlich nicht, wie überlieferte metaphysische Systeme, auf einen Anfangspunkt. Sie führt ins Offene der Seinsfrage, wie Heidegger es benannt hat.
2. Heideggers philosophisches Denken ist so weit wie es nur möglich ist, von dogmatischen Verfestigungen und Indoktrinationen entfernt. Es ist seiner inneren Struktur nach fragendes Denken. Nicht ein dogmatischer Skeptizismus, aber eine fragende Skepsis kann sich sehr wohl stets auf Heidegger beziehen. Manche seiner Hörerinnen und Hörer haben in jenem Fragen eine „Fallenstellerei“ gewittert. Indes berühren sich bei Heidegger sophistischer Anschein und Authentizität des Fragen-müssens. Im einfachen Sinn rhetorisch oder didaktisch sind seine Fragen gerade nicht. Der ‚Meister‘ hatte nicht das Wissen, er wies in den Abgrund. Seine Denkwege bewegen sich auf die Aporie zu. Die Redeweise von den „Holzwegen“ hat dies eindrücklich instrumentiert.  Andernorts hat sie sie als „Kopfzerbrechen“ oder „Nicht ein noch Aus-Wissen“ charakterisiert.
3. Sein Denken ist mit den gängigen Einwänden gegenüber den Grundorientierungen der Metaphysik im Allgemeinen, jener der Neuzeit im Besonderen, nicht zu treffen. Vielmehr hat Heidegger solche kritischen Implikationen an Radikalität bei weitem übertroffen. Sein fundamentalontologischer Ansatz wirft die Frage nach dem Selbst und der ontischen Einzigartigkeit menschlichen Daseins auf. Er entwickelt sie aber keineswegs im Sinn eines subjektiven Herrschaftsanspruchs: So der wohlfeilste und gängigste Vorwurf gegen „die Subjektphilosophie“, der eher einen Strohmann meint als eine Realität.
Aus der cartesischen  Subjekt-Objekt-Struktur sucht Heidegger vielmehr jederzeit den Ausweg. Er fragt gleichermaßen originär nach der einzigartigen Daseins-struktur des Ich  und seiner Welt. Dies schließt bruchlos an Husserls monadologische Konzeption des Ich als eines Bewusstseinsstromes an.
Auch eine sehr viel sublimere Selbstbewusstseinsauffassung: Die Unhintergehbarkeit der Subjektivität als „unmittelbares Vertrautsein mit sich“ (Dieter Henrich), die immer wieder als Grundmotiv der klassischen Philosophie bezeichnet wurde,  ist bei Heidegger im Blick. Allerdings geht die letzte, infallible und grundlegende Intentionalität nicht auf das Ich. Sie wendet sich von ihm aus zu seiner Besorgtheit um die Seinsfrage selbst. Das Dasein ist aus seiner Mitte gerissen: Es ist jenes Seiende, dem es in seinem Sein um das Sein selbst geht. 
4. Die Hermetik von Heideggers Sprache ist viel beklagt worden. Heute ist eine intellektuelle Situation gegeben, in der sie, zumal in Deutschland, leicht lächerlich gemacht und als nicht seriös charakterisiert werden kann. Unbestritten hat sie, zumal in der Spätzeit, Marotten angelegt. Und noch unbestrittener ist der Jargon von Heidegger-Epigonen in den fünfziger und sechziger Jahren inflationär geworden. Er hat kaum zur sachlichen Erhellung beigetragen und die Richtung insgesamt desavouiert. Bei Heidegger selbst kann man aber  noch einmal, wie am Anfang jeder Philosophie eine Kraft zur Sprachschöpfung erkennen. Und die Sprachnot, das, was er anzielte, die grundlegende Schicht, die jeder Begründbarkeit und prinzipiellen Festschreibung, vorausliegt, seinerseits sprachlich namhaft zu machen und auf Wort und Begriff zu bringen, verweist auf die Dimension seines Fragens. Walter Schulz‘ Diktum, Heidegger denke, als sehe ihm Heraklit über die Schulter, hat beide Bezüge im Blick.
In Heideggers Sprache  liegt daher auch ein tiefer Respekt vor Problemen, die nicht  einfach an der Oberfläche der Sprache zu finden sind. Und hat diese sprachbildende und -zerstörende Macht nicht eine tiefe Affinität zu Sprachverlust und –vergewisserung in der ästhetischen Moderne?
Schulmeisternd wirken demgegenüber, Wittgenstein usurpierende Aussagen der Art, was man nicht klar sagen könne, solle man gar nicht sagen. Bei näherem Blick ist Heideggers Anliegen durchaus klar. Auch die Ränder der von ihm zur Einkreisung der Seinsfrage verwandten Begriffe sind dann konzise und deutlich. 
5. Heideggers Philosophie ist dort, wo sie im starken Sinn Philosophie ist, aus keiner Ideologie hervorgegangen und hat gerade darin auf die Eigenmacht der Philosophie gesetzt. Dies ist anders als bei den, auch noch so veritablen philosophischen Ansätzen in Marxismus oder Neomarxismus zwischen Bloch und Lukács auf der einen, Benjamin auf der anderen Seite. Sogar einer philosophischen Schulrichtung wäre Heidegger nur sehr bedingt zuzuordnen. Das „magis“ (mehr), das in dem berühmten Spruch, man liebe Platon, aber eben mehr die Wahrheit, gilt gerade für ihn. Die Phänomenologie war per definitionem keine Schule, sondern eine Haltung. Heidegger hielt auch zu ihr eine fast ironische Distanz.  Eben deshalb ist das Faye’sche Diktum, das ihm den Rang des Philosophen abspricht und ihn in die widerlichste, vernichtendste Ideologie einschreiben will, so infam!
6. Man findet bei Heidegger keinen Grund, kein Ende, kein Prinzip. Oder: Der Grund, auf den dieses Denken geht und den es lotet, erweist sich selbst als entzogen. Man könnte vermuten, dass im Verhältnis von Physis (Natur) und Aletheia (Wahrheit) bei den frühen vorplatonischen Philosophen eine solche Situierung zu finden wäre. Heidegger hat aber, je länger, je mehr er ihnen nachdachte, präzisiert, dass sie gerade nicht zu wiederholen sind. Was an ihnen bleibende Bedeutsamkeit besitzt, ist die Spur ins Ungedachte.
Heidegger zielt in den Anfang. Er betont aber stets, dass dieser Anfang nicht explizit gedacht werden kann. Wo er zu erreichen wäre, dort enthüllt er sich also nicht als Prinzip, sondern als verloren, vergangen.
Dies ist radikale Zeitlichkeit, die ihre Entsprechung darin hat, dass Heidegger die Ganzheit des Daseins im Bewusstsein seines nicht-mehr-seins, in der Sigle vom Vorlauf zum Tod, erkennt. Gleichwohl geht Heidegger weiter den Grundfragen der Metaphysik nach. Er trifft bei dieser Tiefenbohrung aber auf kein ‚Fundamentum inconcussum‘. Vielmehr eröffnet sich eine Abgründigkeit, die in die Schwebelage der Frage führt: „Warum ist Sein und nicht vielmehr Nichts?“ Heidegger hat sie bekanntlich so transformiert, dass Sein und Nichtsein in dem kontingenten Übergang gehalten bleiben, der auch, unbewältigt, am Anfang der Hegelschen ‚Logik‘ situiert ist. Heidegger ist nicht die gängigen Auswege gegangen, deren gröbster in ein „nachmetaphysisches“ Denken führt, deren subtilere in Paradoxien weisen, wie etwa Kierkegaard oder Derrida sie aufgewiesen haben.
Entzogen ist schließlich auch die Rede vom ‚kommenden Gott‘, der nicht als Halte- , sondern als äußerster Ambivalenzpunkt firmiert.
7. Heidegger hat den Ursprungscharakter der Philosophie wiederhergestellt, aber als innerphilosophische Aufgabe, weil es unvermittelt, naiv gerade keinen Anfang geben kann.  Die Methode, die er in ‚Sein und Zeit‘ wählt, ist indes die ‚Destruktion‘, nicht die ‚Dekonstruktion‘, wie sie Derrida später hoffähig machen sollte. Destruiert werden sollen die Bauten der Metaphysikgeschichte und Texturen, die sich im Laufe der Geschichte als Firniss über das anfängliche, originäre Fragen gelegt haben. Dessen Bewegung soll wiedergewonnen werden, so wie sie – und darin ist Heidegger doch noch im eminenten Sinn Phänomenologe – im Denkvollzug erscheint und die Dinge sachgemäß erscheinen lässt.
8. Seine fehlende politische Urteilsfähigkeit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Heidegger die fundamentalste und tiefreichendste Kritik an einer verzweckenden Welthaltung eingenommen hat. Dies ist keineswegs bedeutungslos. Denn von der Kritik Hardts oder Negris abgesehen, ist dem flottierenden Weltkapitalismus kaum eine Analyse entgegengesetzt worden, die seine Prämissen nicht teilte. Auch hierhin reicht noch Heideggers Potenzial. 

IV

Als sich die Tendenz einer endgültigen Destruktion Heideggers abzeichnete und die ‚Schwarzen Hefte‘ ersten Lektüren und Relektüren unterzogen wurden, war vor allem im Blick auf die französische philosophische Landschaft und die Differenzphilosophien zwischen Derrida und Lacan besorgt davon die Rede, dass sie alle von Heidegger abhingen. Die Erschütterung müsse immens sein. Dies war auch aus der französischen Binnenperspektive heraus zunächst nicht falsch. Doch selbst wenn eine Damnatio memoriae gelingen sollte, könnte man in diesem Punkt unbesorgt sein. Dann ließe sich eine mittlerweile in die Kulturwissenschaften integrierte Differenztheorie unschwer aufrechterhalten. Vor allem ihre jüngeren Blüten und Scheinblüten, wie die Gender-Studies, haben vom Vatermord wenig zu befürchten.

Der Schaden läge auf anderer Ebene.
Das endgültige Verschwinden Heidegger würde eine den gängigen Funktionalisierungen sich entziehende Philosophie abschneiden. Gerade an diesem Punkt berührt sich Heidegger mit dem zweiten Giganten der Denkgeschichte des 20. Jahrhunderts, Wittgenstein. Ihm droht, aus guten Gründen, keine politisch historische Desavouierung. Wohl aber droht ihm, bzw. ist längst schon vollzogen, dass er mit den sprachanalytischen Übungen seiner Adepten verwechselt wird.
Ist jene letztendliche philosophische Insistenz zunächst einmal ausgelöscht, so dürfte eine nurmehr historische oder auf einzelne Argumentationsstrukturen reduzierende Deutung der großen philosophischen Grundlinien durchgehend den Diskurs bestimmen. . Heidegger war – und ist – immer auch die ‚Unruhe‘ und der Stachel, der sich dieser Reduktion des Denkens widersetzt. 
Man bemerkt, dass sich philosophische Schulen, über die Zeit und gute Gründe weitgehend hinweggegangen sind, wie der Logische Positivismus, nun selbstsicher in Stellung bringen. Das Ende Heideggers ist die Stunde der denkfaulen, selbstsicheren Reduktionisten.
Das irritierendste und eigenständigste philosophische Denken der Moderne, das weder modern noch anti-modern ist, hinfällig und lächerlich zu machen – kann also durchaus interessant sein. Der Verlust wäre schwer zu ermessen. 

V

Noch einmal – Einige von Heideggers Notaten in den ‚Schwarzen Heften‘ sind unerträglich und kaum entschuldbar. Bei der Art, wie die Öffentlichkeit verfasst ist, hätte man, ohne Prophet sein zu müssen, ahnen können, dass sie zu einer finalen Demontage führen würden. Ahnte der Fallensteller von Messkirch dies vielleicht gar, als er ganz ans Ende der Gesamtausgabe, die „Wege, nicht Werke“ dokumentieren sollte, jene ‚Schwarzen Hefte‘ setzte. Wollte er im Gewirr der Holzwege verschwinden?  Ihre Publikation ist nun vorgezogen worden-, und es spricht durchaus für die Nachlassverwalter, dass nichts verschwiegen worden ist. 

Die Größe und die Schändlichkeit Heideggers zusammenzudenken, ist und bleibt eine große Herausforderung. Sie führt nicht zu dem Kehraus und selbstzufriedenen Vergessen, wie es derzeit üblich ist. Sie würde vielmehr eine Vergangenheitsauseinandersetzung anstoßen, wie sie Thomas Manns nachdenklicher und tiefschürfender Essay ‚Bruder Hitler‘ aus dem Jahr des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs eröffnet hat. Auszuloten bleibt, diesseits von Moral-, Geschmacks- und Charakterfragen das intellektuelle Denkrätsel, wie der Denker, der die aristotelischen Vollzugsformen guten Lebens wie kein zweiter freigelegt hat, die praktisch-ethischen Konsequenzen nicht zog. Dies bedeutete auch, die Interferenzen zwischen Heidegger und Husserl neu zu vermessen. Der Lehrstuhl indes, der in einem barbarischen Akt ohnegleichen unter der unzureichend verbrämten Fassade, die Nachwuchsförderung zu stärken, nun liquidiert wird, ist mit beider Namen gleichermaßen untrennbar verknüpft. 
In der Auslotung dieser Fragezusammenhänge dürfte ein Lehrstück für die Zukunft liegen, keineswegs aber in der einer dumpfen Fassade „kontrollierten Denkens“, in der man sich brüstet, wie „herrlich weit“ man es mittlerweile gebracht habe.