Panafrikanismus heute: Vom Neokolonialismus zur Multipolarität
Haupt-Reiter
Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Markovics
Heute stellt der afrikanische Kontinent ein neues Epizentrum der Konfrontation zwischen dem Neokolonialismus und fremden Expansionismus dar – insbesondere des französischen Expansionismus. Und seitdem die bevorzugte Methode des Westens darin besteht Länder durch die Einsetzung von Marionettenregierungen zu kontrollieren, kann dieses System nur durch Militärputsche “zerstört” werden, wenn auch nur temporär, indem diese es dem Land erlauben den Druck fremder und supranationaler Strukturen loszuwerden. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass die Zahl der Militärputsche in der Region erst kürzlich angestiegen ist: 2020 in Mali, 2021 in Guinea und nun haben wir dasselbe Szenario in Burkina Faso beobachten können.
Diese Coups bestätigen, dass die europäischen und amerikanischen Missionen wie Projekte auf dem afrikanischen Kontinent – mag es sich dabei um "Françafrique" oder "AtlantAfrique" handeln im Begriff sind zu scheitern und durch ein neues System ersetzt zu werden. Noch viel wichtiger ist, dass sich das afrikanische Bewusstsein wandelt: Nachdem keine der verfügbaren Theorien (Kommunismus, Faschismus und Liberalismus) eine Antwort auf das Streben nach Souveränität, wirtschaftlicher Autonomie und politischer Unabhängigkeit für die Völker Afrikas darstellen, wenden sich diese zunehmend dem Panafrikanismus als Bewegung und Vision zu, um das Bild einer Multipolaren Welt zu gestalten, in der auch Afrika einen eigenen Platz hat.
Die Wurzeln des Panafrikanismus
Projekte zur Einigung Afrikas tauchten zum ersten Mal im 19 Jahrhundert aus der Feder der haitianischen Autoren Martin Robison Delany und Benito Sylvain auf. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der prominenteste Anführer des Panafrikanismus Marcus Garvey. Marcus Garvey, der jamaikanischen Ursprungs war, gründete 1914 in den USA die Universal Association for the Improvement of the Negro Condition (UNIA) (etwa: Allgemeine Vereinigung zur Verbesserung der Bedingungen der Neger) und startete das Projekt “Back to Africa” (Zurück nach Afrika).
Die Ideen Marcus Garveys wurden später von einer ganzen Galaxie afrikanischer Politiker aufgegriffen. Es wurde damit begonnen Panafrikanische Kongresse regelmäßig zu organisieren und der Fünfte Kongress von 1945 wurde zu einem Meilenstein, da er den Kern der “neuen Führer” für den afrikanischen Kontinent hervorbrachte, die damit fortfuhren das Projekt Delaneys und Garveys fortzusetzen. Unter ihnen befanden sich Kwame Nkrumah, der zukünftige Präsident Ghanas, Ahmed Sékou Touré, der Präsident von Guinea und Jomo Kenyatta, der Präsident Kenyas. Der Panafrikanismus wurde ebenso von Modibo Keïta, dem ersten Präsidenten Mails, Patrice Lumumba, dem Premierminister des Kongos und Julius Nyerere, dem ersten Präsidenten Tansanias, Ruben Um Nyobé, der berühmten revolutionären Figur Kameruns und Mehdi Ben Barka, einem Marokkaner, praktiziert.
Der Panafrikanismus richtete sich von Anfang an gegen den Kolonialismus und sein Hauptziel bestand darin, Afrika vom Einfluss Europas und Nordamerikas zu befreien.
Panafrikanismus heute
Panafrikanische Parolen und Rufe nach einem vereinten Afrika kann man auch im Zuge der jüngsten Umbrüche finden. Die Idee an sich ist nicht neu, sie tauchte bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts auf und wurde in 1960er Jahren in der Form der Doktrin von den “Vereinigten Staaten Afrikas” formalisiert. Interessanterweise befand sich Muammar al Gaddafi, der Führer Libyens, auch unter den Panafrikanisten die jene politischen Ideologien ablehnten, welche während des Kalten Krieges und darüber hinaus existierten (Kommunismus, Faschismus und Liberalismus) und suchte nach einer neuen politischen Theorie. Heutzutage ist einer der am meisten konsistenten und brillantesten Unterstützer eines neuen Weges für Afrika der bekannte Politiker und die öffentliche Persönlichkeit Kémi Séba, Präsident der NGO Urgences Panafricanistes.
Geboren in Straßburg als Sohn einer Einwandererfamilie aus Benin studierte Séba in Frankreich, entschied sich aber als Erwachsener dazu in sein Heimatland zurückzukehren, wo er sich dem Kampf für die Wiedergeburt Afrikas widmete. Heute besucht diese neue Generation panafrikanischer Anführer regelmäßig afrikanische Staaten und nimmt aktiv an Demonstrationen mit dem Ziel der Befreiung des Kontinents von der Unterdrückung durch Françafrique, den IMF und die Weltbank teil, führen Kampagnen gegen die Kolonialwährung, den CFA-Franc und widersetzten sich aufs Stärkste der Verbreitung der globalistischen und neoliberalen Ideologie. Die Karte von Sébas jüngsten Besuchen ist besonders interessant: Genau in den Ländern die Séba zuvor besucht und dort Probleme mit den Behörden hatte, wo es entweder zu seiner Ausweisung oder Festnahme kam, hat sich die Lage verändert und Panafrikanisten mit Nähe zu Séba kamen anstatt pro-französischer Kollaborateure an die Macht oder zumindest gab das Militär dem Volk die Möglichkeit pro-französische Regierungen und Strukturen abzusetzen. Die Unterstützer des Panafrikanismus und Gegner des französischen Kolonialismus sehen dies als überzeugendes Argument an. Für Séba hat Afrika Vorrang vor dem verbleibenden, trägen und komplett kontraproduktiven Eurokolonialismus.
Kémi Séba ist davon überzeugt, dass die „Krankheit Nummer eins“, die am meisten Menschen in West- und Zentralafrika tötet nicht Covid-19 oder der Dschihadismus ist, sondern Françafrique. „Es ist an der Zeit für uns Afrikaner die Wissenschaft der geopolitischen Wahrnehmung anzunehmen. Wir werden jeden Tag bedroht, weil wir das schönste Land auf der Welt besitzen. Es liegt an uns zu wissen, wie wir es beschützen sollen.“
Daher besteht einer der wesentlichen Punkte in Sébas Programm darin, Afrika vom Neokolonialismus zu befreien und insbesondere vom französischen Einfluss, der in Westafrika vorherrscht.
"Wir werden das koloniale Frankreich zuerst aus der Sahelzone entfernen und dann aus ganz Afrika. Wir werden das in einer ZIVILISIERTEN, STRATEGISCH GEWALTLOSEN aber VIRULENTEN Weise machen“, so Seba.
Panafrikanische Führer, die nicht die neoliberale Agenda teilen, ziehen es auch vor Panafrikanisten wie Séba zu treffen: Zum Beispiel traf sich der neue Anführer von Guinea, Mamady Doumbouya, mit ihm im Oktober 2021, sofort nach der Absetzung des pro-französischen Diktators Alpha Condé. Die Tatsache, dass internationale Organisationen (wie die Organisation ECOWAS und andere) mittels Sanktionen Druck auf Länder ausüben, die nicht mit der Agenda übereinstimmen – seien es Mali, Guinea und andere – verstärkt nur das Verlangen nach jungen Führern und energiegeladenen Menschen, die dazu bereit sind mit anders gesinnten Politikern zusammenzuarbeiten.
Kémi Séba ist aufs Engste mit einem anderen politischen Anführer Afrikas verbunden, dieses Mal mit einem Linken, nämlich Adam Diarra, auch bekannt als Ben le Cerveau, aus Mali. Ben le Cerveau und seine Bewegung haben aktiv zum Sturz des pro-französischen Proteges in Mali, Ibrahim boubacar Keïta beigetragen und wurde zur rechten Hand des neuen Präsidenten Assimi Goïta. Kémi Séba und Adam Diarra organisierten eine große Demonstration zur Unterstützung der neuen Regierung.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass Kémi Séba und seine Gefährten die panafrikanischen Theorien einer gründlichen Revision unterzogen haben und nun für eine tiefgreifende Entkolonialisierung eintreten, welche zusätzlich zur politischen und wirtschaftlichen Befreiung die komplette Säuberung des afrikanischen Bewusstseins von eurozentrischen und vor allem liberalen Kolonialklischees wie Globalisten umfasst. Die Hauptfeinde dieses Panafrikanismus sind die Netzwerke des Globalisten George Soros. Die neuen afrikanischen Führer sprechen sich gegen die Masseneinwanderung und für die Rückkehr aller Afrikaner in ihre historische Heimat aus, deren Größe und Wohlstand sie auf der Grundlage der alten afrikanischen Traditionen und Kulturen wiederbeleben wollen.
Russland und China, die gegenwärtigen Widerstandszentren gegen den Westen, werden als logische Verbündete in dieser Situation gesehen.
Das Vermächtnis Thomas Sankaras
Die Wurzeln des Panafrikanismus reichen bis zu den Tagen Thomas Sankaras zurück, einem legendären Mann und Helden Burkina Fasos sowie wichtigem Bezugspunkt für alle Panafrikanisten. Es war er, der dem Land seinen Namen gab „Land der aufrechten Männer“) und damit seinen alten Namen aus Kolonialzeiten ersetzte „Obervolta“.
Sankara selbst war ein absolut integrer man: Er stellte sich jedem Hegemonen auf dem afrikanischen Kontinent entgegen, wurde von den Ideen Fidel Castros und der Kubanischen Revolution inspiriert und trat für eine volksdemokratische Revolution gemeinsam mit den Antiimperialisten ein. Sankara war ein wahrer Volksheld, eine legendäre Figur. Als er 1987 ermordet wurde, fand man heraus, dass sein gesamter Besitz aus vier Fahrrädern, einem Kühlschrank mit defekter Kühlung und drei Gitarren bestand. Die ästhetische Natur seines Lebens, ebenso wie seine strengen Vorgaben für Beamte, diese mussten äußerst bescheiden Leben, erfüllten seine Ideen und Überzeugungen mit Glaubwürdigkeit.
Im Feld der Internationalen Beziehungen konzentrierte er sich auf den Kampf gegen den Neoliberalismus und bestand auf der Unabhängigkeit von internationalen Organisationen (IMF, Weltbank und anderen). Obwohl Sankara, ebenso wie viele andere Panafrikanisten wie beispielsweise Ahmed Sékou Touré, Kwame Nkrumah oder Mathieu Kérékou (der erste Präsident des Benins), ein linker Aktivist war, war er kein orthodoxer Kommunist und unterstützte daher die Bewegung der Blockfreien Staaten. Bei seiner Rede vor der Versammlung der Blockfreien in Neu-Delhi vom 07. bis 13.03.1983 betonte Sankara, dass das Ideal der panafrikanischen Bewegung in „einer tiefen und mutigen Bewusstheit einer Welt besteht, der der Imperialismus seine ewige Dominanz aufzwingen, sie plündern und unterschiedslos massakrieren möchte.“
Das folgende Zitat erklärt vielleicht auf die detailreichste Art und Weise die geopolitische Orientierung Sankaras, die auch heute noch relevant ist für die Befürworter einer multipolaren Welt im Allgemeinen und für die Panafrikanisten im Besonderen: „Weil sie inmitten des Kalten Krieges geboren wurde, war die Bewegung der Blockfreien Staaten zunächst als Kraft erdacht worden, die das tiefe Verlangen unserer Länder nach Freiheit, Unabhängigkeit und Frieden zu repräsentieren. Sie steht für Frieden und Unabhängigkeit im Angesicht der gegenwärtig feindlichen Blöcke, als eine Kraft die unser Recht als Land und souveränes Volk bestätigt frei und ohne Unterwerfung unseren eigenen Weg des Fortschritts für unsere Völker zu wählen. Ebenso bedeutet sie, dass wir unsere Freunde frei wählen in der Welt auf der Grundlage ihrer konkreten Haltung hinsichtlich des Strebens unserer Völker nach der Befreiung vom kolonialen, neokolonialen Joch oder dem Rassismus, hin zur Unabhängigkeit, Sicherheit, Frieden, und sozio-ökonomischem Fortschritt.“
Folglich stellt die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einen der wesentlichen Punkte von Sankaras Programm dar, ebenso wie die wirtschaftliche Unabhängigkeit (die Erlangung der ökonomischen Souveränität, Losgelöst vom IMF, keine Auslandsschulden und Abhängigkeit von Importen.).
In den Augen Sankaras war der dämonische Hauptfeind des modernen Afrikas Frankreich. Wenig überraschend war es der französische Geheimdienst, der 1987 seine Ermordung in Auftrag gab, auf dem Höhepunkt der Popularität des jungen, energiegeladenen und hoffnungsvollen Afrikaners. Dokumente, welche die Involvierung französischer Dienste bezeugen wurden von der linken französischen Wochenzeitung L'Humanité veröffentlicht.
Der Putsch in Burkina Faso und die neuen Che Guevaras
Der Panafrikanismus manifestiert sich heute nicht nur in den Aspirationen der Völker und dem wachsenden Verlangen nach Multipolarität, sondern auch in besonderen Individuen – den Aktivisten und Obristen, den „afrikanischen Che Guevaras“, die in vielen Regionen an die Macht gekommen sind, Burkina Faso miteingeschlossen.
Der Putsch in Burkina Faso ist ein Sonderfall, da es sich hier um ein Land handelt, indem der Panafrikanismus bereits große Popularität genießt. Im Jänner 2022 ging in diesem Land, bei dem sich um das Geburtsland Sankaras handelt, die Macht in die Hände der Rebellen über. Der Präsident von Burkina Faso, Roch Marc Christian Kaboré, der das Land seit 2015 regiert hatte, wurde in Gewahrsam genommen, zu seinem Zeitpunkt der mit einem Anstieg terroristischer Aktivitäten in dieser Region zusammenfiel, der tausende zum Opfer fielen und die zu Millionen Vertriebenen führte. Spannungen und Ängste um die Sicherheit im Land hatten sich über die Jahre aufgebaut und die französische Präsenz änderte nichts an der Situation, die sich durch radikale Islamisten und Banditen zuspitzte, Massenproteste brachen im November 2021, die schließlich in einem Staatsstreich gipfelten. Am 24. Jänner erlebte Burkina Faso de facto einen Machtwechsel: Eine Gruppe von 14 Soldaten erschien im Staatsfernsehen und gab die Auflösung von Regierung und Parlament bekannt.
Am 27. Jänner hielt der Militärkommandant Paul-Henri Damiba eine Rede an die Nation. Er ist ein Mann mit praktischer Erfahrung im Kampf gegen den Terroristen. Seine Rede wiederholte gewissenhaft die Erklärungen Sankaras: Einen Aufruf zum Kampf gegen den Terrorismus, die Vereinigung aller ethnischen Gruppen und Stämme Burkina Fasos, die Überwindung der inneren Spannungen, um Unabhängigkeit und Autonomie zu erreichen.
“Unser Streben liegt in nichts anderem, als alle Energien unseres Landes zu bündeln und eine Grundlage für ein neues Burkina Faso zu legen, befreit vom falschen Glanz einer politischen Kaste die mit den neuen Bestrebungen unseres Volkes über Kreuz liegt. Unser Programm ist einzigartig und klar: die Sicherheit unseres Volkes und der Wiederaufbau unserer Nation.“
Die Rede von Herrn Damiba ruft nicht explizit zur Wahl zukünftiger Partner auf, vielmehr sind ihre Konturen sehr panafrikanistisch.
Doch wogegen sind diese modernen Panafrikanisten, diese „schwarzen Che Guevaras“? Es gibt viele Beispiele, denn Burkina Faso ist kein Sonderfall eines panafrikanistischen Staatsstreiches, sondern etwas Ähnliches hat sich vor einigen Jahren in Mali und Guinea ereignet. Man könnte dies als eine „Kettenreaktion des Panafrikanismus“ bezeichnen.
Eines der zentralen Themen besteht darin, dass der Panafrikanismus Sankaras' Linie fortsetzt und dabei die moderne Realität des „Neokolonialismus“ berücksichtigt. Die Panafrikanisten widersetzen sich dem neokolonialen Modell Françafriques, der informellen Vormundschaft Frankreichs durch ökonomische Maßnahmen die in nach der Unabhängigkeit in einer großen Zahl afrikanischer Länder eingesetzt wurden. Die politischen Maßnahmen Françafriques haben ihre eigenen Besonderheiten. Zuallererst werden sie nicht vom französischen Außenministerium, sondern von individuellen Akteuren aus dem Elyséepalast eingesetzt. Dabei handelt es sich um eine Form der Schattendiplomatie, die nicht direkt unter der Autorität des Außenministeriums steht, der sogenannten "Elysée Abteilung" oder auch "Hinterhof des Präsidenten". Der bekannteste "Monsieur Françafrique" war der französische Diplomat und Geheimagent Jacques Foccart, der seine Stelle bis 1974 besetzte und tatsächlich das gesamte neokoloniale Projekt geopolitisch rechtfertigte und teilweise umsetzte.
Seit der Ära Foccart hat sich der französische Neokolonialismus auf die folgende Art und Weise manifestiert:
- Die Kontrolle der afrikanischen Staaten durch Handelsverträge und eine Kreditpolitik in großem Ausmaß.
- Die aktive Präsenz französischer Staatsdiener und technischer Attachés in afrikanischen Ländern.
- Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der afrikanischen Länder, insbesondere durch militärische Verträge (Sicherheitsabkommen, Söldneraktivitäten, usw.)
- Der kulturelle, informations- und bildungspolitische Einfluss auf die afrikanischen Staaten, der direkt die Masseneinwanderung nach Europa befördert.
Françafrique: Gut oder böse?
Von einer panafrikanischen Perspektive aus ist Françafrique ein negativer und kolonialer Begriff, sogar in Frankreich scheiden sich an diesem Subjekt die Meinungen. Einige französische Patrioten denken in der Tat, dass man Afrika alleine lassen sollte. Ein anderer Teil denkt, dass der rein französische Einfluss (im Vergleich zu jenem der Briten und Amerikaner) nicht das Schlimmste ist, was dem Kontinent passieren kann und im Gegenteil sogar die Gelegenheit gegeben hat sich zu entwickeln.
Ein Vertreter dieser Richtung ist zum Beispiel Bernard Lugan, ein Historiker aus Afrika. Obwohl er die Ideen der Neuen Rechten hinsichtlich der Zurückweisung der Hegemonie und des Kolonialismus in Afrika teilt, hält er Françafrique für einen Mythos. Ihm zufolge gibt es zwei Arten des Einflusses: den französischen Einfluss, der dem Kontinent Güte, Wissen und Sicherheit gegeben hat, sowie den angelsächsischen Einfluss, der zerstörerisch und Ich-bezogen ist, weil er sich alleine auf wirtschaftliche Interessen konzentriert. Es war dank des französischen Einflusses – zumindest eine Weile lang so, wie Lugan herausstreicht – dass sich die afrikanischen Länder entwickelten und aus der Quelle der Aufklärung schöpften. Wenn Herr Lugan aber damit konfrontiert wird, was Emmanuel Macron und vor ihm François Hollande und Nicolas Sarkozy in Afrika verbrochen haben, indem sie Marionettenregierungen ohne echte französische Werte errichtet haben, dann antwortet er, dass die gegenwärtige Krise in der Regierung Afrikas stattfindet, eben weil Frankreich seine eigenen Werte, Meilensteine und Kultur vergessen hat und dass es eine unpersönliche globalistische Agenda nach Afrika exportiert. Anders gesagt hat Frankreich damit angefangen, die angelsächsischen Methoden zu kopieren und dies sei sehr schlecht, so Lugan. Ihm zufolge ist es notwendig, wieder eine korrekte Beziehung mit Afrika herzustellen.
Panafrikanische Anführer wie Kémi Séba sind jedoch von diesen Ansichten nicht überzeugt. Was auch immer die europäischen Regime Afrika aufzwingen, es bedeutet immer Entfremdung und Ausbeutung. In dieser Hinsicht offenbart der komplette Zusammenbruch der Afrikastrategie der letzten drei französischen Präsidenten mehr als alles andere den grundlegenden Fehler jeder Form des europäischen Kolonialismus, gleich ob er offen liberal oder globalistisch ist, „aufgeklärt“ oder vom Schlage Lugans.
Inzwischen können wir das Scheitern von Françafrique in der Praxis sehen und insbesondere das Scheitern der Politik von Emmanuel Macron persönlich, der dem Neokolonialismus gegenüber ein Lippenbekenntnis ablegte, aber dennoch in die Falle des alten Systems tappte. Auch wenn französische Politiker regelmäßig Afrika besuchen, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frankreich die Region verloren hat. Und klarerweise tauchen neue Spieler auf dem Kontinent auf, insbesondere China und Russland, aber auch die Türkei und andere Staaten. Russland ist heute besonders aktiv bei der Unterstützung einer neuen Welle Anti-kolonialer Bewegungen (ganz so wie die Sowjetunion in den Tagen der Bipolarität) und russische Fahnen (aber bislang noch keine chinesischen oder türkischen Banner) tauchen immer öfter bei Demonstrationen auf neben Landesfahnen und solchen der panafrikanischen Bewegung.
Russia, guarantor of multipolarity
Warum russische Fahnen? Welche wichtigen Dinge können wir beitragen? In einem seiner Interviews sagte Kémi Séba, dass wenn er Menschen sieht die auf Demonstrationen „Russland wird uns retten“ singen, er zu ihnen hingeht und „ihr liegt falsch“ sagt. Er sagte, dass Russland ein Verbündeter von Afrika ist, ein wichtiger Garant seiner Souveränität und ein starkes geopolitisches Argument, aber die Rettung muss von den Afrikanern selbst kommen. Die Afrikaner müssen alle politischen Theorien aus dem Westen zurückweisen und ihre eigene hervorbringen, die weder liberal, kommunistisch, noch nationalistisch ist. Die afrikanischen Länder haben all diese Optionen während des 20. Jahrhunderts ausprobiert und alle haben zum kompletten Zusammenbruch der jeweiligen politischen Ordnung geführt.
Warum ist also Russlands Rolle in der Region positiv und warum stellt sich ihr der Anführer der afrikanischen Befreiungsbewegung wie Kémi Séba nicht entgegen? Weil Russland zu einem Garanten der Multipolarität wird, der den afrikanischen Völkern erlaubt so zu leben, wie sie es wünschen. Séba hebt hervor, dass es Russland ist, das über keinerlei expansionistische oder neokolonialistische Rhetorik oder Obsession verfügt (im Gegensatz zum Liberalismus und Globalismus). Darüber hinaus sind die militärischen und technischen Erfolge der Russen, wie man an den Fronten in Afrika sehen kann, und ihre Effektivität im Kampf gegen den Terrorismus um einiges größer als jene der Franzosen. Private russische Militärunternehmen, über die in den westlichen Medien berichtet wird, helfen dabei Frieden zu bringen und den Terrorismus zu besiegen, während die Kampfstrategie der Macron-Ära angeblich mit der einen Hand Extremisten bekämpft und sie mit der anderen Hand implizit unterstützt und versucht politische Vorteile aus dem Leiden der afrikanischen Völker zu ziehen, getreu dem Prinzip von „teile und herrsche“. Russland hat keine solcher Doppelstandards.
Der kulturelle Faktor
Einer der wichtigsten Faktoren, den wir im Auge behalten müssen, wenn wir mit Afrika in Kontakt treten, liegt darin die Fehler anderer zu vermeiden, wenn es um die kulturelle und religiöse Sensibilität der afrikanischen Gesellschaften geht. In seiner Analyse des Scheiterns der französischen Mission in Mali hebt Bernard Lugan hervor, dass die Franzosen verloren haben, weil sie nicht die ethnischen Besonderheiten berücksichtigt haben. Sie verstanden zum Beispiel nicht, dass die Tuareg in lokalen Räumen denken, in Begriffen der Unabhängigkeit (Föderalisierung) von Azawad und das terroristische Gruppen supranationale Strukturen darstellen. Weil Frankreich solche wichtigen Details übersehen hat, scheiterte seine Mission.
Wenn Russland also Bedeutung haben und eine fortdauernde Zusammenarbeit in der Region haben will, ist es notwendig nicht nur die geopolitischen, sondern auch die ethno-soziologischen Karten, religiösen Faktoren und kulturellen Besonderheiten des Kontinents ins Auge zu fassen.
Wenn wir zum Beispiel auf Burkina Faso schauen, dürfen wir nicht vergessen, dass noch immer Elemente des traditionellen Systems und der sakralen Figur des spirituellen Monarchs Mogho Naaba vorhanden sind, einem mystischen Herrscher Ouagadougous der zu einem Titel geworden ist, und für die Einwohner noch immer wichtig ist. Er fungiert auf Erden als der König der Welt und dieser Glauben des Mossivolkes, das mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, ist in den Köpfen der Menschen noch immer sehr lebendig. Zum Beispiel war es während des Kampfes gegen das Coronavirus der örtliche Beamte des Gesundheitsministeriums, der diesen Würdenträger dazu aufrief das Volk zu segnen um eine baldige Genesung zu ermöglichen. Auch Politiker wenden sich an ihm um Rat, Konsultationen im Falle eines Staatsstreiches miteingeschlossen.
Anders gesagt, wenn wir die Arena betreten, wenn wir damit beginnen mit den Menschen vor Ort zu interagieren, müssen wir besondere Aufmerksamkeit auf die Kultur der letzteren legen, um eine gründliche Kulturanalyse durchführen zu können.
Ein weiteres Kuriosum stellt der weibliche Faktor in Burkina Faso dar. Frauen spielten eine wichtige Rolle im Mossi-Königreich, da der Staat von einer eingeborenen Kriegerfrau gegründet worden war, die sich weigerte zu heiraten und über ihr eigenes berittenes Bataillon verfügte. Und genau diese Details, Mythen die im zwölften Jahrhundert von großer Wichtigkeit waren, tauchten plötzlich bei Sankara auf, der von einer besonderen afrikanischen Tradition der Emanzipation der Frauen sprach und sogar eine weibliche Gardeeinheit mit Motorrädern schuf.
Wenn wir uns also den Regionen Afrikas nicht vorsichtig nähern und dabei die Ethnosoziologie, die Religion und Mythen untersuchen, laufen wir Gefahr von diesen Elementen genauso anorganisch beeinflusst und entfremdet zu werden, wie es die Träger des europäischen Kolonialismus von den afrikanischen Völkern wurden. Der Panafrikanismus als Ganzes kann analog zum Eurasismus gesehen werden, da er die Integration kontinentaler Gebiete befürwortet, die von einer gemeinsamen Geschichte, Kultur, Sprachfamilien und Wirtschaftsmodellen vereint werden. Ein vereintes Afrika, mit einer eigenen Idee konnte in der Zukunft zu einer weiteren Säule der multipolaren Weltordnung werden und gleichzeitig zu einem Pol werden, der Russland gegenüber freundlich gesinnt ist.