Evola von links betrachtet
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Evola von links betrachtet
Bei Evola gibt es einen sehr interessanten Aspekt, der sich in den ersten und letzten Lebensabschnitten dieses Philosophen zeigt und der manchmal als „Anarchismus von rechts“ bezeichnet wird; er tritt in Evolas künstlerischen Jugendwerken und besonders in dem Buch Den Tiger reiten (1961, dt. 1997) zutage. Zugleich trennt seine durchgängig und beständig antibürgerliche Haltung Evola unversöhnlich von der konventionellen Rechten des Westens. Auf der anderen Seite war Evola innerhalb der Tradition immer von den abseitigen Bereichen angezogen, die mehr oder weniger zur Perspektive des Weges der linken Hand führen. In der Gesamtheit seiner Schriften springt sicherlich der „revolutionäre“ Aspekt stark ins Auge, den man als „das Linke“ in der Botschaft Julius Evolas bezeichnen könnte. Die vollständige Deckungslosigkeit mit der modernen westlichen Realität, die radikale Verachtung der bürgerlichen Werte bringt Evola sicher in die Nähe mancher Kreise der Linken. Dieses Phänomen ist nicht eine Äußerung seiner persönlichen Natur, sondern hier liegt ein äußerst bedeutsames Kennzeichen.
Evolas Revolte gegen die moderne Welt besitzt destruktive Kennzeichen wie alle Revolten. Sein unbeugsamer Radikalismus führt ihn zum Bruch mit dem gewöhnlichen Konservatismus, der träge die gestrigen gegen die heutigen Werte verteidigt. Für Evola ist „gestern“ nicht das ganze Ideal. Seine Orientierung geht viel weiter zurück, zum Urmythos, zum verlorenen Hyperborea, zum Transzendenten, zur Ewigen Gegenwart. Diese Suche nach dem Absoluten verpflichtet hier und jetzt, die Grenzen der Konvention hinter sich zu lassen und zugleich die Sekundärformen der an das kali yuga angepaßten Tradition zu zerschlagen. Evola gibt sich nicht bloß mit einem Teil des Heiligen zufrieden, er will das Ganze unmittelbar. Diese Revolte bringt ihn dazu, manche „anarchistische“ Position einzunehmen und die Legitimität der überkommenen leeren Formen des Lebens zu verachten. Das ist übrigens die authentische Position des Tantra-Eingeweihten, wie er in Lo Yoga della potenza (1949, ital. „Der Yoga der Macht“) völlig klargemacht hat. Aber paradoxerweise ist der gleiche Antinomismus manchen Strömungen der radikalen Linken zu eigen, und die existenzielle und ästhetische Phänomenologie der beiden Revolten, wie verschieden sie auch sind, verbindet sie in mancherlei Hinsicht perfekt. Revolution, Krieg, Krise, sozialer Aufstand verursachen immer eine tiefe Traumatisierung, die notwendigerweise das menschliche Dasein zwingt, der tiefen ontologischen Wirklichkeit zu begegnen, die die profanen Gemeinplätze des „normalen“ Lebens hinter sich läßt. Ernst Jünger, an dem Evola sehr interessiert war, hat in seinen Romanen und politischen Schriften dieses Problem der Begegnung des modernen, zutiefst entfremdeten Menschen mit der höheren Wirklichkeit in Situationen äußerster Krisis dargelegt. Mehr noch, Evola hat ihn übertroffen, in den Zeiten seiner persönlichen Krise bis an die Grenze zum Freitod. Daher der Durst nach dem Absoluten in logischer Verbindung mit „negativen“ und manchmal auch „paradoxen“ Erfahrungen. Diese Beweggründe erklären auch das Interesse, das Evola manchen von anderen Traditionalisten (René Guénon, Titus Burckhardt etc.) als klar „gegeninitiatisch“ bewerteten Personen entgegenbringt: Aleister Crowley, Giuliano Kremmerz, Gustav Meyrink etc.
Bei der Linken, besonders bei der extremen Linken, findet man leicht den gleichen Komplex, die gleiche Leidenschaft, die gleiche Exaltation der traumatischen Erfahrung wieder und zugleich die selbe Zurückweisung des Konformismus, den gleichen tiefen Haß in bezug auf die Normen und Konventionen, die gleiche Revolte gegen das Gewöhnliche. Andererseits ist die ideologische Kultur der „revolutionären Linken“ gewiß nicht frei von esoterischen Annäherungen, die manchmal die gleichen sind wie im Falle der Traditionalisten und der Konservativen Revolutionäre; erinnert sei hier nur etwa an Theodor Reuß, den linken Aktivisten und freimaurerischen Initiator Guénons.
Die „linke“ Dimension Evolas erinnert an das politische Paradox des heutigen Rußland, in dem die antiliberalen Neokommunisten eine gemeinsame Front mit den russisch-orthodoxen Konservativen bilden. Man kann auch an gewisse Aspekte des historischen russischen Bolschewismus denken, wo sich auf heterodoxen und widersprüchlichen Wegen die tiefliegenden Tendenzen der russisch-orthodoxen Sakralität entwickelt haben: der Haß auf die westliche Welt der Bourgeoisie, die Suche nach dem Regnum, die eschatologischen Faktoren, die direkte, revolutionäre und unmittelbare Erfahrung der Wahrheit. Mehr noch, es gab in der Morgendämmerung der kommunistischen Bewegung äußerst seltsame esoterische Annäherungen an die Repräsentanten der lokalen und europäischen spirituellen Bewegungen.
Man kann sagen, daß zwischen Evola und Rußland nicht nur die Übereinstimmung auf der Ebene der „konservativen“ gegenwärtigen Ideologie „der Rechten“ existiert, sondern auch gewisse Teile der russischen „Linken“ können in ihrer paradoxen Tiefenstruktur mit den Schriften Evolas verglichen werden, und das verdankt sich seiner Methode der Untersuchung der Strukturen der traumatischen Erfahrung. Die Tatsache, daß der Kommunismus in den konservativeren und traditionalistischeren Ländern Europas gesiegt hat, verpflichtet uns, manche der herkömmlichen konservativen Schemata in bezug auf die profane und moderne Natur des Kommunismus zu überdenken, heute in einer fortgeschrittenen Phase des Niedergangs der modernen Zivilisation. Übrigens sind die Vorhersagen der Konservativen und Konterrevolutionäre (wie Léon de Poncins) über die Notwendigkeit des weltweiten Sieges der proletarischen vierten Kaste durch den gegenwärtigen Triumph der bürgerlichen Zivilisation (vermutlich der dritten Kaste entsprechend) im postsowjetischen Rußland widerlegt.
Evola machte selbst den gleichen Fehler, indem er die radikal antisozialistische und antikommunistische Position einnahm, die für die Konservativen Revolutionäre charakteristisch war, zu denen er auf metaphysischer Ebene jedoch in vollkommenem Widerspruch stand. Eine tiefe metaphysische Differenz besteht zwischen seinem Weg der linken Hand und dem Weg der rechten Hand, der (manchmal) indirekt und ansatzweise die konventionellen Konservativen inspiriert. Mit anderen Worten: Die „metaphysische Linke“ hat bei Evola nicht die kohärente Ausgestaltung der Lehre auf politischer Ebene gefunden, und die „anarchistischen“ und „esoterischen“ Dimensionen blieben seiner Treue zur politischen „Reaktion“ in gewisser Weise allzu widersprüchlich beigesellt. Die gleiche Zwiespältigkeit gab es in seinen Beziehungen zu Faschismus und Nationalsozialismus, an denen er die politisch linken Aspekte kritisierte und zugleich versuchte, die „metaphysisch“ linken Aspekte zu betonen (beispielsweise indem er auf dem Heidentum bestand).
Die politische Geschichte der 80er und 90er Jahre zeigt, daß der Kommunismus nicht die letzte Form des Niedergangs der Kasten war. Daher hat Evola geirrt, als er den Sieg der Sowjets vorhersagte und als Konsequenz den radikal antikommunistischen Standpunkt einnahm und die paradoxen und in gewisser Weise traditionalen Seiten der Revolution verkannte. Trotz seines besonderen Interesses für den Arbeiter von Jünger, hat Evola, indem er der Logik der nichtrevolutionären Rechten folgte, die Kasten der Tradition irrtümlich mit den Klassen der westlichen Gesellschaft identifiziert. In diesem Zusammenhang kann man die sehr wichtige Bemerkung Georges Dumézils in Erinnerung rufen, der betonte, daß die Arbeiter in der traditionellen indogermanischen Gesellschaft der dritten Kaste zugehörig waren, und nicht der vierten. Mehr noch, die Händler (die Proto-Kapitalisten) hatten im Kastensystem einer solchen Gesellschaft überhaupt keinen Platz, und die gesamte Funktion der Güter- und Geldverteilung waren das Vorrecht der Krieger, der k\atriyas.
„Evola von links“ ist noch nicht entdeckt und nicht erkannt. Aber noch einmal helfen uns Rußland und seine konservative und revolutionäre, paradoxe und aufschlußreiche, alte und moderne Geschichte, die expliziten Gedanken Evolas und mehr noch den impliziten Sinn seiner Botschaft, die noch entdeckt und aufgenommen werden muß, zu verstehen; und das nicht nur in Rußland, sondern in dieser zweiten Hinsicht auch im Westen.
übersetzt von Jurij Korinnez
Aus: Dugin, Alexander. Консервативная революция. [russ. „Die Konservative Revolution“] Moskau: Arktogeia, 1994.